ISO-GPS: Tolerierungsgrundsätze
Toleranzen kommen aufgrund ihrer Auswirkungen auf Funktionalität, Fertigungs- und Montagekosten eine große Bedeutung in der Herstellung und Montage von Bauteilen und -gruppen zu. Zudem darf der Qualitätsaspekt nicht vernachlässigt werden: je genauer gearbeitet wird, desto zuverlässiger ist das Bauteil hinsichtlich Montagesicherheit und Lebensdauer. Auf der anderen Seite verteuern „übertriebene“ Toleranzen die Fertigungskosten.
Auch wenn Toleranzen oftmals ein notwendiges Übel darstellen, so ist jedem Kontrukteur klar, dass Werkstücke nicht exakt auf vorgegebene Sollmaße gefertigt werden können. Deshalb legt die Konstruktion zulässige Abweichungen (Toleranzen bzw. Spezifikationen) in technischen Zeichnungen fest. Erst durch die Anwendung von Form- und Lagetoleranzen ist die vollständige und eindeutige Beschreibung eines Werkstücks und seiner Prüfvorgaben möglich.
Das heißt: Aus jeder Zeichnung muss eindeutig hervorgehen nach welchem Tolerierungsgrundsatz die Zeichnung erstellt ist und wonach geprüft werden muss:
Entweder Tolerierung nach DIN 7167:1987 für das Hüllprinzip (zurückgezogen Ende 2011, früher DIN 7184 T1 05.72) oder Tolerierung nach DIN EN ISO 8015 für das Unabhängigkeitsprinzip (geändert 09-2011, früher DIN 2300 11.80) oder aktuell Tolerierung nach DIN EN ISO 14405-1 für lineare Größenmaße (aktiviert das Unabhängigkeitsprinzip) (neu 04-2011 / E 2014-01).
Bis Ende 2011 galt für Zeichnungen mit Angaben über DIN-Normen zu Toleranzen und Passungen automatisch die Hüllbedingung, wenn keine anderslautenden Festlegungen wie z. B. ISO 8015 enthalten waren. Diese älteren Zeichnungen sollten beim Überarbeiten durch folgende Angabe auf den aktuellen Stand gebracht werden: „Maße nach ISO 14405“.
Tolerierung nach dem Hüllprinzip (DIN 7167 oder Angaben mit E im Kreis)
- Einzelne Geometrieelemente, wie Zylinderflächen oder gegenüberliegende parallele ebene Flächen dürfen die geometrisch ideale Hülle des „Maximum-Material-Maßes“ nicht durchbrechen.
- Durch die Hüllbedingung werden Parallelitätsabweichungen gegenüberliegender ebener Flächen und Formabweichungen durch die Maßtoleranz begrenzt.
- Die Prüfung erfolgt mit einer Paarungslehre nach dem „Taylorscher Grundsatz“, einem Rundheitsprüfgerät (Formtester) oder einer Koordinatenmessmaschine oder Messmethoden unter Berücksichtigung statistischer Auswertungen mit Fähigkeitsnachweisen für Maß- und Formabweichungen in Kombination.
Das Hüllprinzip (Standard in ASME-Zeichnungen) gilt, wenn eine der folgenden Angaben in der Zeichnung steht:
- Keine Angabe im Schriftfeld bei alten Zeichnungen (bis Dezember 2011)
- DIN 7167 im Schriftfeld bei alten Zeichnungen (wurde im Januar 2012 zurückgezogen)
- ISO 14405 (E) im Schriftfeld
- ISO 14405 im Schriftfeld und Maßangaben mit (E)
- ISO 8015 im Schriftfeld und Maßangaben mit (E)
- ISO 2768-mK-E im Schriftfeld
- ASME Y14.5 (amerikanische Norm)
Hüllbedingung (DIN 7167 oder Angaben mit E im Kreis)
Tolerierung nach dem Unabhängigkeitsprinzip (ISO 8015, ISO 14405-1)
- Maß-, Form- und Lagetoleranzen am selben Geometrieelement dürfen unabhängig voneinander auftreten. Jede Toleranz wird für sich separat geprüft und beurteilt. Sie darf jeweils voll ausgenutzt werden.
- Die Ermittlung der Maßabweichung darf über die Zweipunktmessung erfolgen, die grundsätzlich keine Aussage über Formabweichungen zulässt. Diese ist ggf. zusätzlich zu tolerieren und mit geeigneter Messtechnik separat zu erfassen.
Das Unabhängigkeitsprinzip gilt, wenn mindestens eine der folgenden Angaben in der Zeichnung steht:
- Keine Angabe im Schriftfeld bei neuen Zeichnungen (ab Januar 2012)
- ISO 14405
- ISO 8015 (bei alten Zeichnungen bis 12-2011 und neuen Zeichnungen ab 01-2012)
- ISO 2768-mK
- ISO 1101, ISO 1302, ISO 5459, jede beliebige andere GPS-Norm
Beachten Sie: Irgendeine ISO-GPS-Norm oder ein Symbol (Rauhigkeits-, Passungsangabe …) aus einer ISO-GPS-Norm rufen das gesamte ISO-GPS-System auf und damit gilt als Standard-Tolerierungsgrundsatz das Unabhängigkeitsprinzip.
Unabhängigkeitsprinzip (DIN EN ISO 8015 und DIN EN ISO 14405-1)
- Angaben im Schriftfeld „ISO 8015“ 1) oder „ISO 14405“ ohne E im Kreis
- Die Maßtoleranz enthält nur Maßabweichungen
- Die Zylinderformabweichung ist anzugeben und darf zusätzlich zum Höchstmaß vorhanden sein
- Das wirksame Maß MMVS kann größer werden als das Höchstmaß ∅ 40,00 mm
Dimensionelle Tolerierung nach DIN EN ISO 14405
Seit April 2011 ist DIN EN ISO 14405 die gültige Zeichnungsnorm für Längenmaße und ersetzt somit DIN 7167. ISO 14405 geht nicht nach dem Hüllprinzip, sondern kennt alleine das Unabhängigkeitsprinzip. Abweichungen von diesem Grundsatz müssen im Dokument ausdrücklich vermerkt sein.
DIN EN ISO 14405-1, -2, -3
DIN EN ISO 14405-1 legt Spezifikationsoperatoren (Tolerierungs- und Auswerteregeln) für lineare Größenmaße fest. Lineare Größenmaße sind die Maße von Geometrieelementen wie:
- Durchmesser von Zylindern
- Durchmesser von Kugeln
- Abstand gegenüberliegender paralleler Flächen z. B. Breiten von Nuten und Federn
DIN EN ISO 14405-2 legt Spezifikationsoperatoren für nicht-lineare Maße fest. Nicht-lineare Maße sind z.B.:
- Lineare oder winklige Mittenabstände
- Stufenmaße
- Radien
- Maße zur Bestimmung von Profilformen
E DIN EN ISO 14405-3 legt Eintragungsregeln für Winkelgrößenmaße fest.
DIN EN ISO 14405-1:2017-07 Modifikationssymbole mit Beschreibung für Größenmaße
DIN EN ISO 14405-1:2017-07 Allgemeine Spezifikations-Modifikationssymbole für Maße
DIN EN ISO 14405-1: Beispiel: Welle
Änderungen im Norm-Entwurf der ISO 14405:2014-01
Gegenüber DIN EN ISO 14405-1:2011-04 wurden folgende Änderungen vorgenommen:
- Der Anwendungsbereich wurde erweitert
- Sie legt den Default-Spezifikationsoperator des Größenmaßes fest und definiert eine Anzahl von speziellen Spezifikationsoperatoren für Größenmaßelemente, das heißt „Zylinder“, „zwei parallele gegenüberliegende Ebenen“, „Kugel“, „Kreis“ oder „zwei parallele gegenüberliegende Geraden“
- Komplementäre Zeichnungsangaben wurden unter Abschnitt 8 aufgenommen
- Im Anhang D wurde die Datenauswertung mit Rangordnungssymbolen aufgenommen
- Im Anhang E wurde der grundlegende Typ von Größenmaßmerkmalen aufgenommen
- Die Anpassung der Terminologie
- Das Dokument wurde redaktionell überarbeitet
E DIN EN ISO 14405-3:2013-08 – Modifikationssymbole mit Beschreibung für Winkelgrößenmaße
E DIN EN ISO 14405-3:2017-07 – Allgemeine Spezifikations-, Modifikationssymbole für Winkelgrößenmaße
DIN EN ISO 1101 – Tolerierung von Form, Richtung, Ort und Lauf
DIN EN ISO 1101 enthält grundlegende Informationen für die geometrische Tolerierung von Werkstücken. Hierzu zählen Definitionen der Form-und Lagetoleranzen, Symbole und Zeichnungsangaben als auch Erklärungen der Toleranzen wie Geradheit, Zylinderform oder Parallelität. A
Bezüge und Bezugssysteme nach DIN EN ISO 5459
Die Basis für die Bemaßung der Lagetolerierungen von geometrischen Elementen und für deren Prüfung (Ausrichtung) ist der Bezug bzw. das Bezugssystem. In der Norm DIN EN ISO 5459:2013-05 (GPS) – Geometrische Tolerierung – Bezüge und Bezugssysteme sind die geltenden Regeln enthalten.
- Einzelbezüge, gemeinsame Bezüge, Bezugssysteme
- Kennzeichnung der Bezugselemente
- Symbole für Bezugsstellenangaben
- Modifizierersymbole
- Eintragungsregeln
- Assoziation (messtechnische Zuordnung) von Bezügen
Bezüge und Bezugssysteme nach DIN EN ISO 5459
Gegenüber DIN EN ISO 5459:2013-05 wurden folgende Änderungen vorgenommen:
- Dokument wurde an den aktuellen Stand der GPS-Technik angepasst
- Anhang I wurde an ISO 14638:2015 angepasst
- Dokument wurde redaktionell angepasst
- Spezifikationsoperator zur Bildung von Bezügen und Bezugssystemen
- Assoziationskriterien für Bezugselemente
Neue Eintragungsregeln und Symbole in ISO 1101
Die bekannten Symbole für die Toleranzarten Form-, Richtungs- Orts und Lauftoleranzen haben sich nicht geändert. Es wurden neue Symbole zur Eintragung von Toleranzen in 2D- und 3D-Modellen eingeführt.
- 3D-Eintragungsregeln
- Anzeiger zur Orientierung der Toleranzzone
- Symbol zur Kennzeichnung abgeleiteter Geometrieelemente (A)
- Eintragung eingeschränkter Geltungsbereiche
- Eintragung der Toleranz für zusammengesetzte Geometrieelemente (UF)
- Erläuterungen zu den Modifikatoren „rundum“ und „rundherum“
- Eintragung ungleichmäßig verteilter Toleranzzone (UZ)
- Eintragung separater Toleranzzonen (SZ)
- Eintragung versetzter Toleranzzone (OZ)
- geänderte Eintragung für projizierte Toleranzzonen (P)
Weitere Symbole und Spezifikationselemente sind hier grafisch dargestellt:
Änderungen im Norm-Entwurf der ISO 1101:2015-07
Gegenüber DIN EN ISO 1101:2014-04 wurden folgende Änderungen vorgenommen:
- Es wurden Werkzeuge zur Festlegung der Filterung des tolerierten Geometrieelements ergänzt
- Es wurden Werkzeuge zur Tolerierung assoziierter Geometrieelemente ergänzt
- Es wurden Werkzeuge zur Tolerierung von Formeigenschaften ergänzt, indem die Assoziation von Bezugselementen und der tolerierte Parameter festgelegt werden;
- Es wurden Werkzeuge zur Festlegung der Nebenbedingungen für die Toleranzzone ergänzt
- Die Regeln für Toleranzen, bei denen die Modifikatoren „rundum“ oder „vollflächig“ angewendet werden, wurden erläutert
- Im Falle von Rundheitstoleranzen für Kegel ist die Richtung der Toleranzzone nun stets anzugeben, um eine Ausnahme von der allgemeinen Regel, dass Toleranzen für integrale Geometrieelemente senkrecht zur Oberfläche gelten, zu vermeiden
- Das „von-bis“-Symbol wird ersetzt durch das „zwischen“-Symbol ersetzt
Tolerierung von Nicht-Größenmaßen nach DIN EN ISO 14405-2
ISO 1101 / ISO 1660 – Linienprofiltoleranz
Linienprofiltoleranz mit Sammlungs-Anzeiger als „rundum“ tolerierte Geometrieelemente und SZ-Angabe
Durch die Angabe „SZ“ werden die Toleranzzonen für einen Satz von Geometrieelementen, die durch das „rundum-Symbol“ identifiziert sind, unabhängig voneinander betrachtet. Die Toleranzzonen stehen in keiner Beziehung zueinander. Die jeweiligen Linien sind unabhängig voneinander toleriert.
Linienprofiltoleranz mit Sammlungs-Anzeiger als „rundum kombinierte“ Toleranzzone und CZ-Angabe
Durch die Angabe „CZ“ werden die Toleranzzonen für einen Satz von Geometrieelementen, die durch das „rundum-Symbol“ identifiziert sind, kombiniert. Die Außenkanten sind dabei scharfkantig. Toleriert sind alle Linienzüge innerhalb der kombinierten Toleranzzone.
Linienprofiltoleranz mit Sammlungs-Anzeiger als „rundum zusammengesetztes“ Geometrieelement mit UF-Angabe
Durch die Angabe „UF“ werden die zusammengesetzten Geometrieelemente als ein Geometrieelement betrachtet, die durch das „rundum-Symbol“ zusammengefasst werden. Die Außenkanten sind dabei abgerundet. Toleriert sind alle Linienzüge auf der zusammengesetzten Fläche.
Anwendungsbeispiel für den Orientierungsebenenindikator
Wird ein abgeleitetes Geometrieelement aus zwei Richtungen mit jeweils zwei parallelen Ebenen begrenzt, muss die jeweilige Richtung durch die Angabe eines Orientierungsebenenindikators angegeben werden.
Der Autor Manfred Weidemann ist DGQ-Trainer und Geschäftsführer von Quality Office. Quality Office betreut seit über 25 Jahren kleine und mittelständische Unternehmen in den Bereichen Qualitätsmanagement, Prozessoptimierung, Zeichnungsprüfung und Längenprüftechnik/Fertigungsmesstechnik.